Aufsichtspflicht hat ihre Grenzen
Das Landgericht Münster hat mit Urteil vom 16. August 2012 (Az.: 02 O 160/12) entschieden, dass die Eltern einen Sechsjährigen, der mit seinem Fahrrad im Bereich ihres Ladens unterwegs ist, ihn durch das Schaufenster beobachten können, ihnen keine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen werden kann, wenn das Kind im Bereich des Anwesens einen Unfall verursacht.
Geklagt hatte eine Krankenkasse, deren Versicherte wegen des Fehlverhaltens eines Sechsjährigen zu Schaden gekommen war. Die Frau war mit ihrem Fahrrad auf einem Radweg unterwegs, als ihr das Kind, mit seinem Dreirad aus der Einfahrt des elterlichen Anwesens kommend, vor das Fahrrad lief. Bei dem anschließenden Sturz wurde die Radlerin erheblich verletzt.
Gegenüber den Eltern machte die Verletzte selbst zwar keine Schadenersatz- und Schmerzensgeld-Ansprüche geltend. Jedoch wollte ihre Krankenkasse die Eltern jedoch wegen einer behaupteten Verletzung ihrer Aufsichtspflicht gemäß § 832 BGB in Regress nehmen, da sie ihr Kind offenkundig nicht ausreichend darüber aufgeklärt hätten, dass es aus der Hofeinfahrt nicht blindlings auf den Radweg fahren dürfe.
Vor Gericht verteidigten sich die Eltern damit, dass sie ihren Sohn sehr wohl über die Gefahren des Straßenverkehrs aufgeklärt hätten. Ferner sei ihr Kind im Bereich des Anwesens bereits seit seinem dritten Lebensjahr mit dem Fahrrad unterwegs, ohne dass es jemals zu einem Unfall gekommen sei. Darüber hinaus hätten sie ihren Sohn auch ausreichend beaufsichtigt, da sie ihn durch das Schaufenster ihres an den Radweg angrenzenden Ladengeschäfts beobachten konnten. Daher könne ihnen keine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vorgeworfen werden.
Das Landgericht Münster gab den Eltern Recht und wies die Klage der Krankenkasse als unbegründet zurück.
Nur wenn besondere Unarten eines Kindes bekannt oder besondere Gefahren gegeben sind, muss selbst bei einem vier Jahre alten Kind eine jederzeitige Eingriffsmöglichkeit der Eltern gewährleistet sein, wenn es sich auf dem Bürgersteig längs der Straße etwa 100 Meter von zu Hause entfernt.
Das gilt hier erst Recht für einen geübten Sechsjährigen, wie den Sohn der Beklagten, der bis zu dem Tag des Unfalls die Ausfahrt aus dem elterlichen Anwesen auf den Bürgersteig offenkundig souverän gemeistert hatte.
Somit kann den Eltern keine Aufsichtspflichtverletzung vorgeworfen werden. Das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des zu Beaufsichtigenden, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern.
Das Gericht glaubte den Eltern, dass sie ihr Kind ausreichend über das Verhalten im Straßenverkehr aufgeklärt hatten und es bei seinen Dreiradfahrten regelmäßig durch das Schaufenster ihres Ladens beobachteten.
Es konnte nicht geklärt werden, warum das Kind am Unfalltag aus der Einfahrt kommend nicht auf den Bürgersteig, sondern auf den Radweg gefahren ist.
Die Richter vermochten eine Verletzung der Aufsichtspflicht jedenfalls nicht zu erkennen.
Daher ging die klagende Krankenkasse leer aus.