BGH-Entscheidung zur BU-Schreibtischklausel
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 15. Februar 2017 (IV ZR 91/16) entschieden, dass die Klausel zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung, nach der die „vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit mit der Maßgabe, dass sie zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird“, versichert ist, intransparent und damit unwirksam ist.
Der Berufsunfähigkeits- (BU-) Schutz darf seitens des Versicherers nicht davon abhängig gemacht werden, dass die zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit „zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird.“ Diese Klausel verstößt gegen das Transparenzgebot nach § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.
In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Versicherer einem Interessenten zwei Angebote für eine BU-Versicherung unterbreitet. Das erste Angebot für ca. 1.600 € Jahresbeitrag bezog sich auf die zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübte berufliche Tätigkeit als versicherter Beruf. Das zweite Angebot für ca. 1.100 € Jahresbeitrag beinhaltete ferner die streitgegenständliche Klausel.
Wenig später hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV) den Versicherer zur Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung aufgefordert, diese Klausel nicht mehr zu verwenden, da sie wegen fehlender Transparenz wie auch wegen inhaltlicher Unangemessenheit unwirksam sei. Als der Versicherer die Erklärung nicht unterzeichnete, wurde der Fall vor Gericht verhandelt.
Erstinstanzlich entschied das Landgericht Berlin (Entscheidung vom 7. Mai 2013 – 15 O 407/12) zu Gunsten der Verbraucherschützer. In der Berufung beim Kammergericht Berlin (Entscheidung vom 1. März 2016 – 6 U 132/13) war der beklagte Versicherer ebenso erfolglos wie mit der beim BGH eingelegten Revision. Der BGH bestätigte die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts. Dieses sei bei der strittigen Klausel rechtmäßig von einer einseitig durch den Beklagten gestellten Bedingung ausgegangen. Nicht ersichtlich sei, dass es dem Versicherungsinteressenten möglich war, auf die inhaltliche Ausgestaltung dieser Angebote Einfluss zu nehmen oder weitere Alternativvorschläge vorzulegen und diese effektiv in die Verhandlungen einzubringen.
Für den Versicherungsinteressenten sei bei Unterbreitung der beiden Angebote überhaupt nicht ersichtlich gewesen, dass es sich hierbei – wie in der Revision von dem Versicherer behauptet – lediglich um Extrempositionen gehandelt und seitens des Beklagten zwischen diesen beiden noch Verhandlungsspielraum bestanden habe.
Für einen durchschnittlichen Versicherungsinteressenten war nicht ersichtlich, dass der Beklagte bereit gewesen wäre, einen Vertrag zu einer anderen Prämie oder einem anderen Prozentsatz einer näher festgelegten Berufsunfähigkeit abzuschließen.
Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen – d.h. hier Versicherungsbedingungen – seien aber nach dem Transparenzgebot gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Entscheidend ist, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist und darüber hinaus nach dem Gebot von Treu und Glauben die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen muss, wie dies nach den Umständen gefordert werden könne.
Die strittige Klausel stellt nicht wie allgemein üblich auf den zuletzt ausgeübten Beruf ab, „so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet ist, sondern auf einen fingierten Beruf, der mit der tatsächlichen Berufstätigkeit des Versicherungsnehmers nichts zu tun haben muss.“ Diese Abweichung vom allgemeinen Verständnis erschließe sich einem durchschnittlichen Versicherungsinteressenten nicht hinreichend. Dem Interessenten werde zudem nicht mit der erforderlichen Klarheit die Gefahr einer Versicherungslücke verdeutlicht.
Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse wird jedoch die eingetretene Berufsunfähigkeit mit der von ihm zuletzt konkret ausgeübten Berufstätigkeit in Verbindung bringen, so wie sie ‚in gesunden Tagen‘ ausgestaltet war. Von der bloßen Unfähigkeit der Berufsausübung in einem fiktiven Beruf werde er demgegenüber nicht ausgehen. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers soll die BU-Versicherung das infolge eines Einnahmeverlusts entstehende Risiko abdecken, dass dieser seinem zuletzt in gesunden Tagen tatsächlich ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann.
Sofern der Versicherer dieses für den Versicherungsnehmer essentielle Interesse der Absicherung der Berufsunfähigkeit im zuletzt konkret ausgeübten Beruf nicht oder nicht vollständig übernehmen möchte, muss er dies dem Versicherungsinteressenten in unmissverständlicher Weise deutlich machen.
Wenn kein konkret ausgeübter Beruf mehr versichert werde, sondern eine abstrakte Schreibtischtätigkeit mit einem bestimmten Prozentanteil, dann handele es sich um eine mit bestimmten Modifikationen ausgestaltete Erwerbsunfähigkeits- (EU-) Versicherung, aber nicht mehr um eine klassische BU-Versicherung.