Rücktransport - medizinisch notwendig? Details entscheidend
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat mit Urteil vom 29. April 2015 entschieden (20 U 145/13), dass es auf die medizinischen Erkenntnisse und Befunde sowie die Erkenntnismöglichkeiten des Patienten bzw. der für ihn handelnden Personen bei einem Rücktransport eines erkrankten Versicherten nach Deutschland, d.h. ob dieser erforderlich und vertretbar ist, ankommt.
Ein Mann und spätere Kläger war in seinem Urlaub auf den Kanarischen Inseln an einer schweren beidseitigen Lungenentzündung erkrankt und wurde nach einer Erstbehandlung durch einen Hotelarzt zur stationären Versorgung in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert. Da sich keine Besserung einstellte, ließ er sich nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten sowie einem ihm vertrauten Mediziner in seiner Heimat auf die Intensivstation eines Universitätsklinikums in Deutschland verlegen. Dabei nahm er ein Flugzeug und einen Rettungswagens in Anspruch. Aufgrund der dortigen Betreuung verbesserte sich sein gesundheitlicher Zustand erheblich, so dass er nach nur einer Woche aus der Klinik entlassen wurde.
Die Erstattung der Rücktransportkosten in Höhe von über 17.000,- € verlangte der Kläger von seinem privaten Krankenversicherer, da nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen auch die Kosten eines aus medizinischen Gründen notwendigen Rücktransports aus dem Ausland versichert seien.
Jedoch lehnte der Versicherer die Kostenübernahme ab, da der Rücktransport nach Deutschland medizinisch nicht notwendig gewesen wäre, denn die gleichen therapeutischen Maßnahmen, die in der deutschen Universitätsklinik ergriffen worden seien, wären auch in dem kanarischen Krankenhaus möglich gewesen.
Der Kläger sah das gegenteilig und trug in seiner gegen den Versicherer eingereichten Klage vor, dass er sich aufgrund seiner dem Versicherer bekannten Krankenvorgeschichte in einem akut lebensbedrohlichen Zustand befunden habe. In vielen Fällen münde das Krankheitsbild in ein akutes Lungenversagen. Um dieses in den Griff zu bekommen, habe es vor Ort an der dafür notwendigen medizinischen Infrastruktur gefehlt. Die medizinische Notwendigkeit für eine Weiterbehandlung in Deutschland sei von den örtlichen Ärzten und vom telefonisch befragten Mediziner in seiner Heimat, der sich mit den kanarischen Ärzten abgestimmt hatte, bestätigt worden. Deswegen habe er unterstellen dürfen, dass sein Versicherer die Rücktransportkosten trage.
Die ausführliche Beweisaufnahme ergab, dass das Landgericht Essen (18 O 156/12) und auch das OLG Hamm der Klage stattgaben. Beide Instanzen waren überzeugt, dass der Kläger berechtigt davon ausgegangen war, dass auf den kanarischen Inseln keine ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeit bestand. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit bestand, dass sich die Lungenentzündung des Klägers zu einem Lungenversagen mit unmittelbarer Lebensgefahr verschlechtern könne. Dafür hätten die Krankheitsgeschichte des Klägers mit zwei vorangegangenen Lungenentzündungen und dessen radiologische, klinische und chemische Befunde während der Behandlung auf den Kanaren gesprochen. Bei einem Lungenversagen wäre der Kläger nicht mehr transportfähig gewesen. Die Frage der medizinischen Notwendigkeit für einen Rücktransport hängt nicht allein von der Auffassung des Versicherten oder derjenigen der ihn behandelnden Ärzte ab. Vielmehr kommt es auf die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Behandlung an. Wenn danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern oder ihren Verschlimmerungen entgegenzuwirken, nach medizinischen Erkenntnissen feststeht, ergibt sich daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers.
Eine Behandlung ist auch dann medizinisch notwendig, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Ausreichend ist, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Diese Grundsätze gelten auch für die Frage, ob aus medizinischen Gründen ein Rücktransport erforderlich ist. Im Fall des Klägers sei eine intensivmedizinische Behandlung mit der nicht auszuschließenden Möglichkeit zur invasiven Beatmung erforderlich gewesen. Die habe in den Kliniken der kanarischen Inseln aber nicht gewährleistet werden können.
Der private Krankenversicherer des Klägers musste somit die Kosten des Rücktransports übernehmen.
Die Entscheidung ist mittlerweile rechtskräftig.
Tipp:
Auch bei geringen Jahresbeiträgen ist der vorliegende Rechtsstreit und mit anschließendem Urteil ein Beleg dafür, dass es auf das Schaden- bzw. Streitpotenzial einer Versicherung ankommt. Wenn der Kläger eine Versicherung mit besseren Bedingungen abgeschlossen hätte, die nicht nur auf eine medizinische Notwendigkeit abstellen, hätte sich der Kunde den Prozess und Ärger sparen können. Gleiches gilt für sein Kostenrisiko, es sei denn, sein Rechtsschutzversicherer hätte es getragen.
Makler sind hier die richtigen Ansprechpartner für den passenden Versicherungsschutz und die Prüfung des „Kleingedruckten“. Besser wäre hier die Formulierung im Bedingungswerk „der Rücktransport ist medizinisch sinnvoll und vertretbar“ gewesen.