Zankapfel Witwenrente
Der 22. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 26. Januar 2017 (L 22 R 71/14) entschieden, dass von der Erfordernis abgewichen werden kann, dass eine Ehe mindestens ein Jahr dauern muss, bevor es einen Anspruch auf Witwenrente gibt, wenn eine Witwe deutlich macht, dass sie und ihr verstorbener Mann sich zu einem Zeitpunkt verlobt haben, als seine zum Tode führende spätere Erkrankung noch nicht bekannt war. Bei der Würdigung der „besonderen Umstände“ muss eine Vielzahl von Teilaspekten berücksichtigt werden.
Eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen zeigt auf, dass Personen, die ihren Partner heiraten, wenn er bereits todkrank ist und nur noch eine beschränkte Lebenserwartung hat, damit rechnen müssen, dass er keine Witwen- oder Witwerrente bekommt, sofern die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat. Mit Schwierigkeiten ist der Nachweis zu führen, dass es sich dabei nicht um eine Versorgungs-, sondern um eine Liebesehe gehandelt hat, d.h. dass beide Partner wirklich aus Liebe heiraten wollten.
Vor dem LSH Berlin-Brandenburg wurde kürzlich ein Fall verhandelt, in dem einer Frau und späteren Klägerin nach dem Tod ihres langjährigen Partners eine Große Witwenrente zugesprochen wurde. Bei dem Mann war im Dezember 2010 ein metastasierender Lungenkrebs im IV. und damit letzten Stadium festgestellt worden, welches eine kurative Behandlung ausschloss. Auf Anraten der Ärzte wurde eine palliative Therapie, die auch eine Chemotherapie zur möglichen Lebensverlängerung einschloss, durchgeführt und Anfang Januar 2011 erfolgte die Entlassung aus dem Krankenhaus. Am 28. Januar 2011 erfolgte die Heirat und am 18. Juli 2011 verstarb er. Das Paar seit der Schulzeit miteinander bekannte Paar war seit 2004 liiert und lebte seit 2006 zusammen. Bei der 2007 vom Versicherten abgeschlossenen Vermögensbildungsversicherung war sie als Begünstigte eingetragen worden.
Die Klägerin beantragte nach seinem Tod Witwenrente, welche der Rentenversicherungsträger ablehnte, da zum Zeitpunkt der Eheschließung schon klar gewesen sei, dass der Versicherte nur noch eine kurze Lebenszeit vor sich hatte. Daher sei bei der Heirat davon auszugehen, dass die Hinterbliebene versorgt werden sollte.
Ihr dagegen eingelegter Widerspruch wurde vor dem Sozialgericht Berlin zurückgewiesen. Klagebegründung der Witwe war, dass der Versicherte und sie sich bereits am 23. Oktober 2010, seinem 44. Geburtstag, verlobt hätten. Hierfür stünden seine Eltern als Zeugen zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt war die zwei Monate später bei ihm entdeckte Krebserkrankung nicht absehbar. Die Heirat war für den 29. Januar 2011 geplant, dem Tag, an dem sie seit sieben Jahren zusammen waren. Wegen ihrer Erkrankung an einem Chronic-Fatigue-Syndrom bezog sie selbst eine Erwerbsunfähigkeitsrente, so dass deshalb schon keine finanziellen Interessen ausschlaggebend waren. Gleichwohl litt sie wegen ihrer Erkrankung immer wieder an schweren Erschöpfungszuständen. In Verbindung mit den Belastungen durch die später entdeckte Krebserkrankung konnten erst Mitte Januar die konkreten Planungen für die Heirat finalisiert werden. Hinzu kam, dass das eigentlich geplante Restaurant doch nicht gebucht werden konnte und das zuständige Standesamt samstags keine Trauungen vornimmt. Ein zentraler Grund, warum sie sich nach gut sechsjährigem Zusammenleben verlobt hatten, war, dass ihr Mann ein halbes Jahr zuvor endlich das Rauchen aufgegeben und dies auch durchgehalten hatte. Als Allergikerin litt sie sehr unter seinem Laster litt. Das war der ultimative Liebesbeweis und damit der richtige Heiratszeitpunkt gekommen.
Beide gingen zum Zeitpunkt der Eheschließung davon aus, dass insbesondere die Chemo- und Strahlentherapie lebensverlängernd wirken werde und glaubten fest an eine längere gemeinsame Zeit. Die behandelnden Ärzte bestätigten, dass der Versicherte dazu bereit war, alles nur Mögliche zu unternehmen, um sein Leben zu verlängern.
Die Sozialrichter blieben unbeeindruckt und wiesen die Klage ab, da sie nicht ausreichend die erforderliche Evidenz die Vermutung entkräften konnte, dass der Heiratszweck vor allem die Hinterbliebenenversorgung gewesen war.
Das LSG Berlin-Brandenburg als Berufungsinstanz kam zu dem Schluss, dass „die gesetzliche Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe durch besondere Umstände im vorliegenden Einzelfall wiederlegt“ werde.
Die Richter waren von der Wahrhaftigkeit der Aussagen der Klägerin und ihrer Zeugen überzeugt und konnten nachvollziehen, dass nach mehrjährigem Zusammenleben und dem vorgenannten Liebesbeweis eine Ehe ernsthaft geplant worden war.
Die Gründe, warum die Eheschließung erst drei Monate nach der Verlobung stattfand, waren aus richterlicher Sicht nachvollziehbar und mussten nicht primär mit der Krebsdiagnose zu tun haben.
Ergebnis ist in Abwägung aller Umstände bei einer Gesamtbetrachtung, dass die dargestellten besonderen Umstände dem Motiv einer Versorgung zumindest gleichwertig gegenüberstehen, so dass die Frau eine große Witwenrente beanspruchen kann.
Die Entscheidung ist mittlerweile rechtskräftig.